Ein Buch von Matthias Egersdörfer und Jürgen Roth
Der Mittelfranke Matthias Egersdörfer und der in Frankfurt lebende Halbfranke Jürgen Roth pflegen seit geraumer Zeit eine Freundschaft über die hessisch-fränkische Grenze hinweg. Eines Tages beschließen sie, den Landstrich Franken in aller Ausführlichkeit zu bereisen und ihre Erkundungen in Form eines Briefwechsels für alle Zeit festzuhalten.
In dem nun erschienen Buch „Die Reise durch Franken“ findet sich auf dem Vorsatzpapier eine Landkarte mit allen bereisten Orten – von Aschaffenburg bis Wunsiedel und von Mödlareuth bis Gunzenhausen.
Von Beginn an war vereinbart, dass die Erkundung Frankens eine ganzheitliche werden solle und dass es neben Leuten, Menschen, Dialekten, Mentalitäten, Landschaften, Orten, verbrannten Erden, Geschichte und Geschichten auch, und ein bisschen vor allem, um Wirtshäuser und deren Kerngeschäft in Form von Bierausschank und Essensausgabe gehen würde. Die Gefahr zu verhungern oder auch zu dehydrieren, war von vornherein ausgeschlossen.
Im Sommer 2013 also bestiegen Egersdörfer und Roth jeden Früh ein ausgemergeltes Automobil und tuckerten einem zuvor vereinbarten Ziel entgegen. Meist fuhr Roth und war ganz angetan ob der bezaubernden fränkischen Landschaft, welche sein Reisekamerad auf dem Beifahrersitz regelmäßig verschlief. Abgesehen davon, verlief alles Weitere vorbildlich. Während ihrer Etappen interviewten sie zahlreiche Personen, oft Heldinnen und Helden des Alltags, wie sich herausstellt. Aus deren höchst unterschiedlichen persönlichen Lebensgeschichten und Erfahrungen bezüglich Sinn und Unsinn von Existenz, Arbeit, Familie und EU entsteht ein assoziatives und ebenso fundiertes Stimmungsbild über Franken und seine Menschen, das 800 Seiten Sozial- und Geschichtskunde ersetzt.
Und auch all dem Unangenehmem, Unheilschwangeren, Peinlichen und Unwirtlichen, das Franken ebenfalls zu bieten hat, schauten die beiden Männer tapfer in den dunklen Schlund. Die Fakten werden knallhart benannt: Machtergreifung; EU; manche Orte sehen irgendwie blöd aus seit 1950; Busse fahren im Kreis; Bierbrauer verachten ihr eigenes Produkt; Wetter. Dahinein gestreut wie Petersilie über dampfende Salzkartoffeln finden sich sauber und klug recherchierte Passagen, Zitate und Poeme von historischen und zeitgenössischen Persönlichkeiten, denen Franken eine Reise wert war. Was aber die Ganzheitlichkeit, dieses als Briefwechsel niedergeschriebenen Buches vervollkommnet, ist die Sprache der beiden Worthünen. Das Buch im Gesamten wird bereits mit Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg verglichen.
Auszüge aus dem Buch
Don Quijote und Sancho Panza
Fürth, den 23. 6.
Sehr geehrter Herr Roth,
mit großer Freude habe ich gestern in meinem elektronischen Posteingang Ihr Schreiben vorgefunden. Eine wahre Pracht ist es, wie Sie an sich halten. Und fürwahr, Sie wohnen offensichtlich nicht grundlos in der Nähe der Frankenallee im Frankfurter Gallusviertel, und obendrein scheint mir, als würde es weit über den Zufall hinausgehen, daß sich Ihre kleine Trutzburg, die Sie bescheiden Ihr Zuhause nennen, in der Kriegkstraße Adresse und Motto gegeben hat.
Wohlige Schauer durchströmen mich, wenn ich Sie durch Ihren Brief so ansehe auf Ihrem wiehernden Schlachtroß mit den geweiteten, dampfenden Nüstern, weißer Schaum am Maul, nervös in alle Richtungen stampfend. Der geharnischte Doktor der Philosophie sitzt wacker obenauf und hält die Zügel stramm mit einer Hand, stahlgrau die Rüstung, annähernd stahlgrau das Haupthaar, von Wind und Wut zerzaust. Ihre rechte Hand hält fest den Knauf Ihres mächtigen Schwertes. Ihre Leidenschaft drängt Sie, mir, dem rundlichen Wicht mit seinem weibischen Greinen, sofort an Ort und Stelle den Kürbiskopf mit einem Schlag vom Leib zu trennen. Das wäre nicht der erste Schlag, mit dem Sie mattherzige Jämmerlichkeit bestraft und beendet hätten. Aber irgend etwas läßt Sie zögern. Im besten Fall mag es die Vernunft sein. Wahrscheinlicher aber ist, daß dem Ritter Roth seine Klinge zu schade ist, um mit ihr Gemüse zu schneiden.
An dieser Stelle fällt mir ein, sehr verehrter Reisefreund Roth: Wir müssen unbedingt die romantischen Burgen der Fränkischen Schweiz aufsuchen. Wir wandern von Pegnitz aus auf dem mit Rotkreuz markierten Pfad nach Pottenstein. Die Route führt uns durch ein dichtes Waldgebiet, »nur hin und wieder aufgelockert durch Wiesen und mit Sichtachsen auf anmutige Täler. Beiderseits des Weges wuchtige, moosbewachsene Felsbrocken« (Nürnberger Nachrichten). Wir werden die Ruine Hollenberg erklimmen. Sie können von dort aus, auf der 540 Meter hochgelegenen Plattform angekommen, nach Herzenslust Ihre Blumenvereinsgedichte und gern auch ein paar Reime vom guten Hans Sachs über die bewaldeten Hügelketten hinwegdeklamieren, während ich gleich daneben auf einem Bänkchen im Schatten eines Baumes verweile und ein Schinkenbrot verzehre und mir dazu ein Fläschchen Hebendanz Export – meiner Meinung nach das beste Bier der Welt – die Kehle hinunterrauschen lasse.
Sie merken schon, Ritter Roth, ich gerate ins Schwärmen, und es gibt, abschließend gesagt, für einen evangelischen Mittelfranken nichts Schöneres, als mit einem strengen Ehrenmann durch die Welt zu reisen, der ihn nur zu gern entleiben möchte, wenn man dessen stattliche Redlichkeit auch nur einen Hauch bezweifelt. Und das müssen Sie mir auch zugute halten: Ich habe Sie in Fürth offenen Herzens empfangen. Zerknirscht war ich nur in meinem Brief, und ich bereute bereits bei Ihrem Erscheinen die Versendung. Mit einer Tasse kräftigem Kaffee spülten Sie die Strapazen Ihres Höllenritts ein für allemal hinfort – so wie ich die Nebel des Zweifels. Wir telephonierten mit Frau Conrad, die meinem Elternhaus gegenüber in Lauf rechts der Pegnitz lebt, und sie stimmte einem Treffen ohne Umschweife zu.
Auch dies stimmt: Mit Ihnen beginnt das Reisen sofort, und so fuhren wir von dort, wo 1835 die erste deutsche Eisenbahn losfuhr, mit Furor los. 2010 wurde das Jubiläum ebendieser Fahrt des Adlers begangen, und man entblödete sich nicht, auf der Fürther Freiheit einen abgeschmackten Bahnhof aus lumpig bedruckten Gardinen zu errichten, und auf der Hundeschißwiese zwischen Königswarterstraße und Hornschuchpromenade lagen ein paar einfältig leuchtende Leisten, die den historischen Schienenstrang nachzeichneten. Das Geld für diesen Humbug wäre besser darauf verwendet gewesen, hätte man damit den Kötern, die den Wiesenstreifen ganzjährig in ein Kackminenfeld verwandeln, die Arschlöcher zugenäht.
Wir fuhren auf den Ring und in Erlenstegen unter der Bahn hindurch auf eine weitere Schicksalsstraße, die B 14. Diese Straße war Schauplatz unzähliger ungefilmter Roadmovies, die in Lauf in der Zeit ihren Anfang nahmen, als erster Flaum an meinem Kinn zu sprießen begann und meine Unruhe mich ins ferne Nürnberg zog. Es war die Zeit, als meine Freunde und ich begriffen, daß wir die Abenteuer nicht länger mehr oder weniger unbeteiligt an uns vorbeiflimmern lassen mochten, sondern selbst die Hauptdarsteller in spannenden Episoden sein wollten.
Mit meiner großen Schwester hatte ich Ende der siebziger Jahre meinen ersten Kinofilm im Admiral gesehen. Rot glühten damals meine Wangen und Ohren bei Robin Hood von Walt Disney. Vollständig gebannt staunte ich über den schlauen Fuchs, der mit seinen Kumpels die korrupte Staatsgewalt foppte und am Schluß noch das Herz einer adeligen Füchsin eroberte. Seither bin ich dem Kino verfallen. Erik Lauer war immer bestens darüber informiert, wann der neueste James Bond anlief. Entweder Frau Lauer oder meine Mutter kutschierte uns dann zum Filmstart in die Lichtspielhäuser der Großstadt.
Aber jetzt hatte Erik den Führerschein und diese silberglänzende Fregatte, und eines Abends fuhren wir los. Jörg Muskat, Philipp Moll, Jürgen Eichenmüller und ich setzten die Segel, lichteten den Anker und brausten in die Stadt unserer Träume. Die B 14 war das schäumende Meer, und Kapitän Lauer steuerte erbarmungslos aufs gelobte Land zu. Auf dem langen geraden Stück vor Erlenstegen dürften wir sogar über 120 Stundenkilometer gefahren sein, und wir fühlten uns ungefähr wie Kolumbus, kurz bevor er in Amerika ankam, obwohl der sich rein rechtlich bestimmt noch ein bißchen mehr gefreut hat. Schließlich hatte ihn ja seine Mutter nicht vorher schon mal dorthin gefahren.
Die Häuser waren hoch, die Straßen lang, der Himmel war weit, und wir waren stolz und frei. Wir hatten die Fenster heruntergedreht. Der Fahrtwind zerzauste unsere Frisuren, und die Mannschaft suchte einen Ankerplatz für ihr Piratenschiff. Alles war aufregend und neu. Wenn die Mütter gefahren waren, war es uns weitgehend egal gewesen, wo das Auto abgestellt worden war. Jetzt hielt die Mannschaft eifrig nach einer geeigneten Haltestelle Ausschau. Endlich hatten wir eine Mole gefunden, vertäuten das Schiff und sprangen an Land, nichts anderes im Sinn als Eroberung.
Nach einer Expedition durch die Innenstadt hatten wir den Hemdendienst entdeckt. Es war ein kleines Häuschen und lag zwischen der Landesgewerbeanstalt und dem heutigen Zwinger. Unser Schicksal verachtend, traten wir mutigen Schrittes ein und rutschten alsbald in eine wohlige Verwunderung hinein, aus der wir uns für einige Stunden nicht mehr befreien konnten. Wir setzten uns rund um ein Tischchen auf Stühle und Bänke, die so gar nichts mit den Möbeln zu tun hatten, die wir aus den bisherigen Besuchen in der ländlichen Gastronomie kannten. Lange versuchten wir uns das flüsternd zu erklären. Vielleicht hatte das Interieur noch annähernd etwas mit einer Teestube des CVJM gemeinsam. Aber hier lagen keine Gesangsbücher aus, kein Gruppenleiter brühte Tee oder sang zur Gitarre. Statt dessen schepperte eine Stereoanlage, und man konnte sogar die Kabel sehen.
In Lauf gab es auch eine Handvoll Kneipen, die es auf ein jugendliches Publikum abgesehen hatten: dunkle Kaschemmen, in denen auf groben Holztischen Weizenbiergläser standen. Der Wirt trug ein Oberlippenbärtchen und schenkte Bier aus dem Zapfhahn aus. Wenn man öfter kam, durfte man »Manne« zu ihm sagen. Zigarettenqualm vernebelte die Klänge von Pink Floyd. Manne war ein echter Wirt. Aber hier, im Hemdendienst, war niemand auszumachen, der auch nur annähernd so eine Qualifikation ausstrahlte.
Hinter einer provisorischen Bar stand eine wunderschöne Frau, und es dauerte einige Zeit, bis wir begriffen, daß wir bei ihr Getränke erhalten konnten. Es gab auch keine Weizengläser. Wir tranken aus der Flasche. Erik Lauer bestellte ein Käsebrot, und mit dieser Bestellung wußte die Engelsfrau wohl auf einen Schlag alles über uns. Sie brachte einen kleinen Teller mit einer Scheibe Brot, einem Messer und einem originalverpackten Bressot. Fassungslos starrten wir auf den Käse in der runden Verpackung mit dem Plastikdeckel. Genau so stand der Käse im Supermarkt im Kühlregal. Offensichtlich hatte diese Frau dort den Käse gekauft, ihn in den Hemdendienst geschafft, und sie servierte ihn, als sei nichts dabei, mit einer Scheibe Brot.
Die Möbel waren von der Entrümpelung. Die Frau hatte keinen Schnurrbart. Sie hatte einfach Lust darauf, eine Kneipe zu betreiben. Sie hatte ihre Stereoanlage hier aufgestellt und Getränke besorgt, und weil in der Kneipe vorher ein Hemdendienst gewesen war, hieß sie jetzt eben Hemdendienst. An diesem Abend hatte ich das in seiner ganzen Größe natürlich nicht im mindesten erfaßt. Aber nach und nach begann ich zu begreifen. Wenn dir danach ist, machst du einfach eine Kneipe auf. Es kann auch eine illegale Kneipe sein, im Keller eines Wohnhauses. Du kaufst ein paar Kästen Bier, stellst eine Stereoanlage auf und verteilst ein paar Zettelchen, auf denen Adresse und Uhrzeit stehen, und schon kann es losgehen. Man muß nicht singen können. Aber wenn man gerne singt, lädt man einen Kumpel ein, der ein bißchen Akkordeon spielt. Dann schreibt man ein Liedchen, und er spielt dazu. Dann...